„Das Establishment fürchtet unsere Zusammenarbeit“

AfD-Spitzenkandidat Prof. Dr. Jörg Meuthen über EU-Zentralismus, Migration und das Vorbild Ungarn sowie über eine Kooperation rechtskonservativer Parteien im Europäischen Parlament.

Herr Professor Meuthen, welche Bedeutung hat die EU-Wahl Ende Mai? Erwarten Sie einen grundlegenden Kurswechsel, ein Erstarken der patriotischen Parteien?

Meuthen: Ich denke, dass es substanzielle Veränderungen geben wird. Es wird für die rechtskonservativ-patriotischen Parteien zu einer Mehrheit im Europäischen Parlament absehbar noch nicht reichen, aber die Kräfteverhältnisse werden sich verschieben. Ich rechne mit erheblichen Einbrüchen im Bereich der Sozialdemokraten, aber auch der EVP, und das wird sicherlich zu unseren Gunsten laufen.

Mit welchen Themen wird die AfD in den Wahlkampf ziehen?

Meuthen: Wir wenden uns stark gegen die weitere Zentralisierung der EU, gegen die schrittweise Entwicklung hin zu den Vereinigten Staaten von Europa. Wir plädieren für ein Europa der Vaterländer, für souveräne Nationen, die in Fragen internationaler Aufgaben kooperieren, die aber nicht immer weiter zu einem einheitlichen Ganzen zusammenwachsen. Denn das ist erkennbar nicht der Wille der Mehrheit der Bürger der Europäischen Union.

Wenn Sie gerade den Zentralismus ansprechen: Anfang März hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Vorschläge für einen „Neuanfang“ in Europa gemacht. Die Zentralisten sind also nicht bereit aufzugeben.

Meuthen: Es ist falsch, was Herr Macron da macht. Denn was er vorschlägt, ist kein Neuanfang, sondern ein „Weiter so“, weil Herr Macron so wie Herr Juncker und Frau Merkel die Zeichen der Zeit überhaupt noch nicht verstanden hat. Was Macron vorschlägt, würde die Europäische Union nicht festigen, sondern – ganz im Gegenteil – weiter destabilisieren. Macron handelt aus einer Notsituation heraus, weil er so viele Probleme in seinem eigenen Land mit seiner eigenen Präsidentschaft hat, dass er zu seiner eigenen Entlastung versucht, auf der europäischen Ebene mit solchen Vorschlägen Punkte zu sammeln.

Wenn man von der Zentralisierung der Europäischen Union spricht, muss man aber auch von Angela Merkel sprechen. Denn Angela Merkel ist ja nicht als Verteidigerin eines Europas der Vaterländer in Erscheinung getreten.

Meuthen: Genau das ist einer der Gründe, warum bei uns so laut „Merkel muss weg!“ skandiert wird. Sie hat neben all den Missständen im Inneren auch in der Europapolitik einen völlig falschen Kurs eingeschlagen und im Grunde genommen hat sie in den vielen Jahren ihrer Kanzlerschaft unserem Land permanent einen Bärendienst erwiesen. Mit Merkel geht es nicht nur Richtung Zentralisierung, sondern es geht mit Merkel auch immer weiter in Richtung Finanzie-rung der Defizite anderer Staaten, also einer Haftungsunion.

Was nun eine Haftungsunion betrifft: Für die Gründung der AfD ganz wesentlich war ja das Thema Euro bzw. die Eurokrise. Nun befindet sich Griechenland nicht mehr unter dem Euro-Rettungsschirm, und wenn ich Sie richtig verstehe, dann befürchten Sie, dass das Thema Eurokrise oder Haftungsunion wieder aktuell werden könnte?

Meuthen: Wir haben eine Haftungsunion bereits durch die Nullzinspolitik der EZB, die de facto eine Negativzinspolitik ist, weil wir damit eine schleichende Enteignung der Sparer haben. In Nordeuropa und damit auch in Deutschland werden die Sparer enteignet und ihrer Ersparnisse beraubt, um schwächere Volkswirtschaften in Südeuropa zu stützen, die so schwach gar nicht sein müssten, wenn sie nicht im Euro wären.

Das heißt, das Thema Nord-Euro und Süd-Euro ist nach wie vor aktuell?

Meuthen: Ein Nord- und Süd-Euro ist mir ein bisschen zu einfach gedacht. Man muss nicht zu den einzelnen Währungen zurückkehren, aber kleinere Währungsverbünde wären ein gangbarer Weg. Ob wir da mit einem Nord- oder einem Süd-Euro operieren sollten, mag dahingestellt bleiben.

Wie sehen Sie eigentlich die Politik der Europäischen Union gegenüber Ungarn, aber auch Polen? Diese beiden Länder gehen eigene Wege und wollen sich von Brüssel so wenig wie möglich dreinreden lassen. Auch stehen gegen Budapest und Warschau Strafverfahren nach Artikel 7 im Raum.

Meuthen: Hier geht es ganz massiv um die nationale Souveränität des betreffenden Staates, in die mit Strafdrohungen eingegriffen werden soll, wobei wegen der im Rat erforderlichen Einstimmigkeit nicht davon auszugehen ist, dass sie Realität werden. Auch das ist etwas, was dem gedeihlichen Zusammenleben der Staaten in der Europäischen Union völlig zuwiderläuft. Es ist nämlich das Recht der Ungarn und der Regierung Orbán, etwa in der Migrationspolitik so zu entscheiden, wie sie das tun. Und erkennbar hat Orbán für seine konsequente Migrationspolitik bei Wahlen eine absolute Mehrheit erhalten und setzt nun den Willen des Volkes um.

Kann man es auch so formulieren, dass Orbán ein Vorbild ist, weil er den Willen des Volkes und damit die Demokratie umsetzt?

Meuthen: Wenn man genau hinschaut, was Orbán macht, dann stellt sich das etwas anders dar als die Stereotypen, die ihm immer wieder zum Vorwurf gemacht werden. Ich habe eine hohe Meinung von Orbán und habe bei einer Rede gesagt, wenn sich Orbán in Richtung der rechtskonservativen Parteien im Hinblick auf eine gemeinsame Gruppenbildung im Europäischen Parlament zubewegen würde, weil seine Fidesz-Partei in der EVP keine Zukunft mehr hat, dann würde ich ihm den roten Teppich ausrollen.

Und was man in Bezug auf Orbán wohl auch noch sagen muss: Während andere 2015 die Grenzen geöffnet haben, hat Ungarn Maßnahmen ergriffen, um seine EU-Außengrenze zu schützen und damit auch im Sinne des Schengener Abkommens zu handeln. Wie sehen Sie das?

Meuthen: Es ist das Recht der Ungarn, das zu tun, und ich würde mir mehr Ungarn in Deutschland wünschen. Weil das ist es ja, was wir bei der Regierung Merkel aus guten Gründen fortlaufend kritisieren.
Wir haben keinen funktionierenden Grenzschutz, denn die Grenzen sind in Deutschland noch immer weitestgehend offen, und wir werden von illegaler Migration förmlich überrollt. Das machen die Ungarn viel klüger.

Und hinzuzufügen wäre wohl auch: jetzt Italien unter Innenminister Salvini.

Meuthen: Richtig. Wenn Sie sich die Migrationsströme nach Italien anschauen, dann haben Sie in den ersten zwei Monaten des Jahres 2019 einen Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um sage und schreibe 95 Prozent. Das ist bemerkenswert und ein Schritt in die richtige Richtung, denn wir müssen diese illegale Migration stoppen.

Nun wird die Migrationsfrage vom Zeitgeist sehr positiv gesehen, was wohl eine Folge der politischen Korrektheit ist. Wie wichtig wäre es, gegen die politische Korrektheit anzukämpfen?

Meuthen: Wir kämpfen permanent gegen die politische Korrektheit! Deswegen sind wir auch sehr stark in der Kritik. Das wird uns aber nicht abhalten, die Dinge beim Namen zu nennen, wenn es beispielsweise um die illegale Einwanderung, die Kriminalität oder den Gender-Unsinn geht.

Kommen wir nun wieder zur Europawahl zurück: Mit welchen Parteien will die AfD im neuen EU-Parlament zusammenarbeiten?

Meuthen: Natürlich haben wir großes Interesse daran, im neuen Europaparlament gemeinsam mit der FPÖ in einer Fraktion zu sein. Aber ich führe viele Gespräche, auch etwa mit der Lega in Italien, mit der Dänischen Volkspartei usw., und man wird schauen, wie sich das letztlich zusammen findet.

Warum wollen Sie mit der FPÖ in einer Fraktion sein? Hängt es vielleicht auch damit zusammen, dass die FPÖ für Ihre Partei in der einen oder anderen Hinsicht ein Vorbild ist?

Meuthen: Die FPÖ ist zunächst einmal erheblich älter als die AfD. Das heißt, wir als junge Partei, die professionelle Strukturen erst entwickelt, sehen in der FPÖ natürlich eine Partei, die Professionalität schon lange an den Tag legt. Uns verbindet die gemeinsame Sprache, wir entstammen einer gemeinsamen Kultur und wir haben sehr ähnliche Positionen. Wenn ich mit Heinz-Christian Strache und Harald Vilimsky spreche, dann stelle ich fest, dass wir eine unglaublich große Summe an gemeinsamen Positionen und Werten haben. Das verbindet natürlich – auch menschlich.

Nun gibt es unter Europas patriotischen Parteien mitunter doch recht große inhaltliche Unterschiede. Um kurz ein Beispiel zu nennen: Ungarn ist unter Orbán gegen die zwangsweise Verteilung der sogenannten Flüchtlinge, während Italien mehr europäische Solidarität einfordert. Wie sehen Sie diese Widersprüche? Können diese Widersprüche eine gedeihliche Zusammenarbeit auf Dauer behindern?

Meuthen: Ich glaube nicht, dass die Migrationspolitik da ein Hindernis darstellt. Wenn Sie Salvini und Orbán nehmen, dann verbin-det die beiden doch eine sehr restriktive Migrationspolitik. Beide eint – und auch viele andere wie die FPÖ und die AfD – die Grundhaltung, dass wir die Migration strikt begrenzen wollen, dass wir die illegale Migration auch durch konsequente Abschiebungen bekämpfen wollen, und dann stellt sich die Verteilungsfrage nicht mehr. Aber in der Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt es sicher Unterschiede, wenn man unser Programm mit dem der Lega vergleicht.

Wird hier vielleicht von außen versucht, einen Keil zwischen die Parteien zu treiben?

Meuthen: Natürlich! Wenn die etablierten Parteien eines fürchten, dann genau das, was wir anstreben: eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen den sogenannten rechtspopulistischen Parteien im Europäischen Parlament. Also wird permanent versucht, einen Keil zwischen uns zu treiben. Wir werden uns davon aber nicht beirren lassen: Wenn wir nicht kooperieren, nützt das nur dem politischen Gegner.

Das heißt, man hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, als sich die Ausgegrenzten gegenseitig ausgegrenzt haben?

Meuthen: Genau das ist das Problem. Ich bin schon der Meinung, dass wir gewisse Ausgrenzungen vornehmen müssen. Aber das ist unproblematisch, weil die davon betroffenen Parteien sowieso nicht viel politisches Gewicht haben. Wir müssen natürlich rechtsextreme Parteien ausgrenzen, mit denen – ich nenne exemplarisch die Goldene Morgenröte aus Griechenland – wird meine Partei ganz sicher nicht zusammengehen. Aber mit denjenigen Parteien, die rechts sind – nicht rechtsradikal oder rechtsextrem –, werden wir natürlich zusammenarbeiten.

Das Interview erschien in der Ausgabe 16-17/2019 des österreichischen Magazins Zur Zeit. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

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